Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG

Für den Alltag der Beschäftigten hat bei der Gestaltung der Arbeitszeit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG eine überragende Bedeutung.

Der Betriebsrat hat danach bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen.

Weiter hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. In der Praxis betrifft dies Fälle, in welchen der Arbeitgeber mit den Beschäftigten eine vorübergehende Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit vereinbart oder diese kraft Weisungsrecht anordnen will. Auch die Anordnung von Überstunden und Einführung von Kurzarbeit sind klassische Anwendungsfälle. Dem Betriebsrat ist hier vom Gesetzgeber die Aufgabe zugewiesen, das (arbeitsvertraglich sehr weite) Weisungsrecht des Arbeitgebers zu beschränken und die Interessen der Arbeitnehmer*innen an der Lage und Dauer ihrer Freizeit in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zu vertreten.

Eine Wertung darüber, welche Freizeitbelange und Wünsche hierbei vorzugsweise zu berücksichtigen und vom Betriebsrat zu beachten sind, trifft der Gesetzgeber hier gerade nicht. Der Betriebsrat kann hierüber nach eigenem Ermessen entscheiden, wobei die oben genannten gesetzlichen Mindestschutzvorgaben und der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 BetrVG zu beachten sind. Ansonsten bleibt die Frage, welche Freizeitwünsche überhaupt und welche vorzugsweise zu berücksichtigen sind, den Verhandlungen der Betriebsparteien überlassen.

Typischerweise kann der Betriebsrat aber bestimmte, besonders schutzwürdige Freizeitbelange der Beschäftigten wie z. B.

  • die Gewährung von freien Zeiten für die Betreuung von Kindern und nahen Angehörigen,
  • Freizeitwünsche aus medizinischen Gründen oder um bestimmte Ärzte oder Therapien besuchen zu können,
  • außergewöhnliche private Zwischenfälle des / r Arbeitnehmers/-in, die eine Freistellung zu bestimmten Zeiten erforderlich machen usw.

in diese Verhandlungen einbringen.

Mitbestimmung bedeutet zunächst, dass der Arbeitgeber nicht einseitig ohne Zustimmung des Betriebsrates handeln darf. Er ist für sämtliche Weisungen und Vereinbarungen in diesem Bereich daher immer auf die vorherige Zustimmung des Betriebsrates angewiesen.

Das Recht des Betriebsrates beschränkt sich aber nicht auf ein schlichtes „Nein“–Sagen.

Will der Betriebsrat von Arbeitnehmer*innen gewünschte Änderungen am bestehenden Arbeitszeitsystem durchsetzen, so steht ihm diesbezüglich auch ein Initiativrecht gegenüber dem Arbeitgeber zu. Dieser ist gehalten, sich mit den Vorschlägen des Betriebsrates auseinander zu setzen und mit diesem hierüber zu verhandeln. Lehnt der Arbeitgeber die Vorschläge des Betriebsrates ab, ignoriert er diese oder kommt es trotz Verhandlungen zu keiner Einigung, so kann der Betriebsrat seine Vorschläge auch gegen den Willen des Arbeitgebers im Rahmen seiner Mitbestimmung in einer Einigungsstelle ganz oder teilweise durchsetzen.

Können sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht einigen, entscheidet die Einigungsstelle nach
§§ 87 Abs. 2  i. V. m. 76 BetrVG, auf welche beide Seiten sich einigen müssen. Vor der Zustimmung des Betriebsrates oder vor der Ersetzung einer Zustimmung durch einen Spruch der Einigungsstelle darf der Arbeitgeber nicht einseitig handeln.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gilt ohne jede Ausnahme auch dann, wenn der Arbeitgeber sich auf Ausnahmesituationen oder Eilfälle beruft, z. B. eine ersatzweise Einplanung eines/r Arbeitnehmer*in bei überraschendem Personalausfall, plötzlich auftretenden Auftragserledigungsschwierigkeiten, drohendem Terminablauf für die Auftragserledigung mit drohendem Auftragsverlust oder drohenden Schadensersatzansprüchen.

Auf die unter (4) beschriebenen Ausnahmesituationen berufen sich Arbeitgeber in der Praxis sehr häufig, weil die Abstimmung mit dem Betriebsrat für Arbeitgeber oft konflikt- und zeitaufwändig sein kann und weil sie oft nicht genügend Zeit für die Abstimmung mit dem Betriebsrat einplanen.

Gleichwohl gilt auch in diesen Fällen:

Eine Ausnahme vom Mitbestimmungsrecht ist vom Gesetzgeber – anders als bei Einstellungen und Versetzungen nach §§ 99, 100 BetrVG – nicht vorgesehen.

Dem Betriebsrat steht damit bereits bei einer konkret drohenden Verletzung seines Mitbestimmungsrechtes ein allgemeiner Unterlassungsanspruch zu, den er ggf. auch im Wege der einstweiligen Verfügung vor dem Arbeitsgericht durchsetzen kann. Er ist also nicht gehalten, das mitbestimmungswidrige Handeln des Arbeitgebers auch nur vorübergehend zu dulden.

Das BAG hat hierzu in seiner Grundsatzentscheidung vom 03.05.94, 1 ABR 24/93 zur Begründung ausgeführt:

„a) § 87 BetrVG regelt die erzwingbare Mitbestimmung. Maßnahmen in diesem Bereich soll der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen können. Verstößt er hiergegen, entsteht eine betriebsverfassungswidrige Lage. Daß der Gesetzgeber diese auch nur zeitweise dulden und einen Unterlassungsanspruch ausschließen wollte, ist nicht ersichtlich.“

Damit hat das Gericht dem Betriebsrat das Recht zuerkannt, bei einer drohenden Verletzung seines Mitbestimmungsrechtes hiergegen bereits vorbeugend gerichtlich vorzugehen. Jedes einseitige Handeln des Arbeitgebers ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates ist ihm nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 untersagt.

Bei Zuwiderhandlungen durch den Arbeitgeber stehen dem Betriebsrat darüber hinaus nach § 23 Abs. 3 BetrVG auch nachträglich Unterlassungsansprüche hinsichtlich künftiger Verletzungen des Mitbestimmungsrechts zu. Die Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG stellt regelmäßig einen groben Verstoß dar mit der Folge, dass der Betriebsrat hiergegen einen Anspruch auf Unterlassung gerichtlich geltend machen kann. Für den Fall eines abermaligen Verstoßes des Arbeitgebers gegen einen entsprechenden Gerichtsbeschluss drohen ihm für jeden einzelnen weiteren Verstoß die Anordnung eines Ordnungsgeldes in einer Höhe bis zu 10.000,- €, wenn der Betriebsrat dies im Wege der Zwangsvollstreckung beim Arbeitsgericht beantragt.

Da der Arbeitgeber den Betrieb ohne Arbeitszeiteinteilungen nicht organisieren kann, er gleichzeitig fast täglich auf die Mitwirkung des Betriebsrates hierbei angewiesen ist, ist der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zu diesem Gegenstand in beiderseitigem Interesse. Sind die Betriebsparteien übereinstimmend der Auffassung, dass für bestimmte Eilfälle der Arbeitgeber auch ausnahmsweise allein handeln soll, so können sie dies in einer Betriebsvereinbarung verbindlich regeln. Der Betriebsrat darf hierbei aber die Ausübung seiner Mitbestimmungsrechte auch in diesem Fall nicht vollends auf den Arbeitgeber übertragen. Vielmehr muss auch in einer solchen Vereinbarung der Kern seiner Mitbestimmungsrechte unberührt bleiben.

Ordnet der Arbeitgeber die Lage der Arbeitszeiten und Überstunden ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates bzw. einer Ersetzung dieser Zustimmung durch Einigungsstellenspruch an, obwohl er den Betriebsrat zuvor nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG hätte beteiligen müssen, so sind die hierauf basierenden Weisungen gegenüber dem*r betroffenen Arbeitnehmer*in unwirksam. Diese*r braucht die ihm/ihr gegenüber ergangene Überstundenanweisung nicht zu befolgen und kann diese verweigern. (BAG, 03.12.1991 – GS 2/90)