BAG, Urteil vom 07.12.2005 – 5 AZR 19/05 – Annahmeverzug

Orientierungssatz

Ist das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrags zwischen den Arbeitsvertragsparteien streitig, bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs des Arbeitgebers in der Regel eines tatsächlichen Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber kann ein solches Angebot erwarten, wenn der Arbeitnehmer meint, ein Aufhebungsvertrag sei nicht zustande gekommen. Vertritt der Arbeitgeber nach Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer die Auffassung, das Arbeitsverhältnis sei einvernehmlich beendet worden, beendet er das Arbeitsverhältnis – anders als bei einer Kündigung – nicht durch einseitige Erklärung. Ein wörtliches Angebot nach § 295 BGB genügt aus diesem Grunde regelmäßig nicht.

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 23. Dezember 2004 – 1 Sa 71/04 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1    Die Parteien streiten über Ansprüche aus Annahmeverzug.

2    Die im Jahre 1942 geborene Klägerin ist seit dem 1. Februar 1975 beim Beklagten als Diplom-Psychologin beschäftigt. Sie war zuletzt in Süderbrarup in einer vom Diakonischen Werk des Kirchenkreises Angeln getragenen Erziehungsberatungsstelle tätig. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 30 Stunden. Die Klägerin arbeitete bis Ende 1996 mittwochs und donnerstags zusammen 15 Stunden in der Erziehungsberatungsstelle. Die restliche Arbeitszeit war für Ausarbeitungen vorgesehen, die die Klägerin zu Hause in Hamburg erstellte.

3    Mit Schreiben vom 8. November 1996 forderte der Beklagte die Klägerin auf, ab 1. Januar 1997 die gesamte Arbeitszeit in der Erziehungsberatungsstelle Süderbrarup tätig zu sein. Die Klägerin wies dies mit Schreiben vom 30. Dezember 1996 zurück. Mit Schreiben vom 7. Februar 1997 wiederholte der Beklagte seine Aufforderung. Im Anschluss daran war die Klägerin bis zum 10. April 1997 arbeitsunfähig krank. Danach hatte sie bis zum 30. April 1997 Urlaub. Vom 1. Mai 1997 bis zum 5. März 1998 war die Klägerin wieder arbeitsunfähig krank. Vom 6. März 1998 bis zum 25. Mai 1998 hatte sie Urlaub. Daran anschließend war die Klägerin unter Fortzahlung der Vergütung bis zum
30. September 1998 von der Arbeit freigestellt. Der monatliche Arbeitsverdienst der Klägerin betrug in dieser Zeit 2.981,85 Euro. Hinzu kamen Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Vom 20. Oktober 1998 bis zum 30. November 1999 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld.

4    Anfang Mai 1997 erhob die Klägerin Klage auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei, sie mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 15 Stunden in der Beratungsstelle Süderbrarup zu beschäftigen (Az. – 1 Ca 768/97 -, später unter – 1 Ca 150/99 – fortgeführt). Im Gütetermin vereinbarten die Parteien außergerichtliche Vergleichsverhandlungen zu führen. Die Parteien strebten eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1998 gegen Zahlung einer Abfindung an. Die Beendigung sollte aus krankheitsbedingten Gründen erfolgen. Im Zuge der Verhandlungen legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung vor. Darin heißt es:

“Ich bestätige, daß Frau W ihre Berufstätigkeit bei geänderter Arbeitszeitregelung, die eine tägliche Anwesenheit an ihrem Arbeitsort in Süderbrarup erforderlich machen würde, aus gesundheitlichen Gründen auf Dauer nicht aufrechterhalten kann.

…”

5    Am 5. Juni 1998 kam es zu einem Telefonat der Prozessbevollmächtigten, dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Mit einem Schreiben vom 4. September 1998 machte der Beklagte geltend, am 5. Juni 1998 sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. September 1998 vereinbart worden. Die Klägerin bestritt das Zustandekommen einer vergleichsweisen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Im Oktober 1998 überwies der Beklagte der Klägerin eine Abfindung. Am 12. Februar 1999 übersandte die Klägerin die Schlüssel der Dienststelle an das Diakonische Werk in Süderbrarup. Von dort erhielt sie am 23. März 1999 ihre persönlichen Gegenstände zugesandt.

6    Mit Schriftsatz vom 12. April 1999 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in dem Rechtsstreit – 1 Ca 150/99 -:

“… Sollte das Gericht davon ausgehen, daß zwischen den Parteien ein Vergleich geschlossen worden ist, wird hierzu rein vorsorglich erklärt:

Namens und in Vollmacht der Klägerin wird ein ohne ihre Zustimmung geschlossener Vergleich ausdrücklich angefochten.

Die Klägerin hat einem Vergleich zu keiner Zeit zugestimmt. Sie hat ihre Prozeßbevollmächtigte mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß ein Vergleich nur mit ihrer Unterschrift zustande kommen könnte.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist mithin nicht rechtswirksam aufgelöst worden und besteht weiter fort.

…”

7    Die Klägerin bot dem Beklagten mit Schreiben vom 9. Juni 1999 ihre Arbeitsleistung an und forderte ihn auf, bis zum 18. Juni 1999 seine Bereitschaft zur Annahme der Arbeitsleistung zu erklären.

8    Mit Urteil vom 13. Oktober 1999 stellte das Arbeitsgericht in dem Rechtsstreit – 1 Ca 150/99 – fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30. September 1998 hinaus fortbesteht. Im Übrigen wies es die Klage ab, weil die vom Beklagten angeordnete Änderung der Arbeitszeiten wirksam sei. Die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil wurde am 8. März 2000 zurückgewiesen (LAG Schleswig-Holstein – 2 Sa 609/99 -).

9    Mit ihrer am 7. Februar 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin vom Beklagten für die Zeit vom 1. Oktober 1998 bis zum 30. November 1999 Vergütung wegen Annahmeverzugs verlangt.

10    Die Klägerin hat geltend gemacht, ein Angebot der Arbeitsleistung sei zur Begründung des Annahmeverzugs nicht erforderlich gewesen, weil der Beklagte seit September 1998 die Auffassung vertrete, das Arbeitsverhältnis sei zum 30. September 1998 beendet worden. Im Übrigen enthielten ihr Schriftsatz vom 12. April 1999 und ihr Schreiben vom 9. Juni 1999 wörtliche Angebote.

11    Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 41.745,96 Euro brutto abzüglich 13.163,35 Euro netto nebst 4 % Zinsen seit dem 5. Oktober 1999 zu zahlen.

12    Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, Annahmeverzug liege nicht vor, weil die Klägerin die Arbeitsleistung nicht angeboten habe.

13    Das Arbeitsgericht hat der Klägerin Vergütung für die Zeit vom 16. April 1999 bis zum 30. November 1999 zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Im Umfang der Klageabweisung ist das Urteil des Arbeitsgerichts rechtskräftig geworden. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts zum Teil abgeändert und den Beklagten lediglich zur Zahlung von Vergütung für die Zeit vom 21. Juni 1999 bis zum 30. November 1999 verurteilt. Die weitergehende Klage hat das Landesarbeitsgericht abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren für die Zeit vom 16. April 1999 bis zum 20. Juni 1999 weiter.

Entscheidungsgründe

14    Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Der Beklagte befand sich in der Zeit vom 16. April bis zum 20. Juni 1999 nicht im Annahmeverzug.

15    I. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich nach §§ 293 ff. BGB.

16    1. Der Arbeitgeber gerät nach § 293 BGB in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Gem. § 294 BGB muss die Leistung dem Gläubiger grundsätzlich so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden. Der Arbeitnehmer muss sich zur vertraglich vereinbarten Zeit an den vereinbarten Arbeitsort begeben und die nach dem Vertrag geschuldete Arbeitsleistung anbieten. Nach § 295 BGB genügt ein wörtliches Angebot des Schuldners, wenn der Gläubiger ihm erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde, oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist.

17    2. Ist das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrags zwischen den Arbeitsvertragsparteien streitig, bedarf es zur Begründung des Annahmeverzugs des Arbeitgebers in der Regel eines tatsächlichen Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer (HWK/Krause § 615 BGB Rn. 41; Richardi/Annuß NJW 2000, 1231, 1233) . Hierdurch hat der Arbeitnehmer zu verdeutlichen, dass er weiterhin zu den vertraglichen Bedingungen arbeiten möchte. Der Arbeitgeber kann ein solches Angebot erwarten, wenn der Arbeitnehmer meint, ein Aufhebungsvertrag sei nicht zustande gekommen. Vertritt der Arbeitgeber nach Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer die Auffassung, das Arbeitsverhältnis sei einvernehmlich beendet worden, beendet er das Arbeitsverhältnis – anders als bei einer Kündigung – nicht durch einseitige Erklärung. Ein wörtliches Angebot nach § 295 BGB genügt aus diesem Grunde regelmäßig nicht. Es wäre nur dann ausreichend, wenn dem Arbeitnehmer im Einzelfall, etwa nach einem Hausverbot, ein tatsächliches Angebot nicht zumutbar wäre. Auf die Rechtsprechung zur Begründung des Annahmeverzugs nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber kann bei einem Streit über das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrags ebenso wie nach einer unwirksamen Eigenkündigung des Arbeitnehmers (dazu BAG 16. Januar 2003 – 2 AZR 653/01 – AP SeemG § 67 Nr. 2, zu B III 4 der Gründe) nicht abgestellt werden, weil der Arbeitgeber in diesen Fällen dem Arbeitnehmer nicht durch einseitige gestaltende Willenserklärung die Arbeitsmöglichkeit entzieht. Ob § 296 BGB nach einer unwirksamen Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber überhaupt anwendbar ist, bedarf vorliegend keiner Klärung.

18    II. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze befand sich der Beklagte nicht in Annahmeverzug. Zur Begründung des Annahmeverzugs war gem. § 294 BGB ein tatsächliches Arbeitsangebot der Klägerin erforderlich. Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt. Die Parteien verhandelten während der bezahlten Freistellung der Klägerin über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Nach dem Telefonat der Prozessbevollmächtigten am 5. Juni 1998 machte der Beklagte geltend, ein Aufhebungsvertrag sei mit Wirkung zum 30. September 1998 zustande gekommen. Dem widersprach die Klägerin zwar mit Schreiben vom 21. September 1998, sie unterließ aber ein Angebot ihrer Arbeitsleistung. Nachdem die Klägerin zuletzt Anfang 1997 gearbeitet und behauptet hatte, ihr sei eine dauerhafte Arbeitsleistung in Süderbrarup nicht zumutbar, hätte sie durch ein tatsächliches Angebot ihrer Arbeitskraft in Süderbrarup deutlich machen müssen, dass sie zur Arbeitsleistung im Umfang von 30 Wochenstunden bereit sei. Dies war ihr auch zumutbar. Sie hätte ohne weiteres an ihre Arbeitsstätte nach Süderbrarup fahren können. Der Beklagte hatte ihr weder ein Hausverbot ausgesprochen noch ihr in anderer Weise ein Erscheinen am Arbeitsplatz unzumutbar gemacht. Nachdem die Klägerin die Arbeitsleistung nicht tatsächlich angeboten hatte, befand sich der Beklagte nach dem 30. September 1998 und damit im Zeitraum vom 16. April bis zum 20. Juni 1999 nicht im Annahmeverzug.

19    III. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Müller-Glöge    Mikosch    Linck    Kremser    Wolf

Quelle: https://www.juris.de