Arbeitsbefreiung bei Erkrankung des minderjährigen Kindes

In der Praxis wenden sich Arbeitnehmer, insbesondere bei Kindeserkrankungen, in erster Linie an ihre Krankenkasse, um den jeweiligen Krankengeld- bzw. Kinderkrankengeldanspruch geltend zu machen. Dieser beträgt allerdings nur 70 % des erzielten regelmäßigen Bruttolohns und darf 90 % des Nettolohns nicht übersteigen.

Urlaubs-, Weihnachtsgeld- oder andere Einmalzahlungen der letzten 12 Monate sind allerdings bei der Berechnung des Krankengelds anteilig zu berücksichtigen.

Gegenüber dem Arbeitgeber begründet § 45 SGB V einen unabdingbaren und nicht einschränkbaren Anspruch auf unbezahlten Anspruch auf unbezahlte Freistellung.

Vorrangig hat der Arbeitnehmer jedoch einen Anspruch auf bezahlte Freistellung nach § 616 BGB. Dieser Anspruch geht vor. Nur nachrangig greifen die Rechte aus § 45 SGB V. Dies wird von vielen Arbeitnehmern bewusst nicht oder unwissend nicht geltend gemacht. Teilweise gibt es allerdings auch einschränkende Regeln in Tarifverträgen oder Arbeitsverträgen, die den Anspruch auf bezahlte Freistellung insoweit ganz oder teilweise ausschließen.

Das BAG hat bereits in seiner Entscheidung vom  19. April 1978 – 5 AZR 8834/76 deutlich gemacht, dass der sozialversicherungsrechtliche Anspruch nur nachrangig greift. Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut des § 45 SGB V (Vorgängerregelung § 185 c RVO).

Das BAG führte aus, dass § 616 BGB in diesem Fall Anspruchsgrundlage ist:

„Bei Erkrankung eines Kleinkindes ist die Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer dann nicht zuzumuten, wenn Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege geboten sind und andere im Haushalt des Arbeitnehmers lebende Personen nicht zur Verfügung stehen. In solchen Fälle darf der Arbeitnehmer von der Arbeit fern bleiben. Er kann, sofern auch die weiteren Voraussetzungen des § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben sind, Weiterzahlung des Lohnes beanspruchen. Dabei muss sich der Arbeitnehmer aber um andere Pflegemöglichkeiten kümmern, wenn er mit einer länger dauernden Erkrankung rechnen muss; er muss den Arbeitsausfall zu begrenzen suchen. […]

Im Allgemeinen wird deshalb in Fällen der vorliegenden Art dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nur für die ersten Tage unzumutbar sein.“

Für die Dauer enthält § 616 BGB keine genaue Regel. Deshalb orientierte sich das BAG in der Entscheidung an der sozialversicherungsrechtlichen Gesetzesregelung, die heute § 45 SGB V ist und damals § 185 c RVO.

Das BAG führt hierzu aus:

„Die vom Gesetzgeber in § 185 c RVO getroffene Regelung kann dabei einen Anhaltspunkt liefern. Diese Vorschrift gibt dem Versicherten Anspruch auf Pflegekrankengeld für längstens 5 Arbeitstage im Kalenderjahr für jedes Kind. Auch dieser Bestimmung liegt der Gedanke zugrunde, dass der Versicherte bei länger dauernden oder mehrfachen Erkrankungen eines Kindes für eine andere Betreuung sorgen muss. […]Ein Zeitraum bis zu 5 Arbeitstagen, wie er in den Fällen der erörterten Art im allgemeinen nur in Betracht kommt, ist in aller Regel als verhältnismäßig nicht erheblich anzusehen, und zwar unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses.Eine schuldhafte Herbeiführung kann jedenfalls bei plötzlich auftretenden Erkrankungen des Arbeitnehmers nicht angenommen werden, weil jedenfalls in diesen Fällen keine Vorsorge braucht, die Pflege und Betreuung durch außerhalb des Haushalts lebende Personen sicherzustellen.“

Inwieweit man heute aufgrund der verdoppelten Dauer des Freistellungsanspruch aus § 45 SGB V von einem nicht unerheblichen Zeitraum auch sprechen kann, wenn die Erkrankung länger als 5 Tage dauert, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden worden.