16.04.2018

BAG sieht kein striktes Neutralitätsgebot des Arbeitgebers im Rahmen der BR-Wahlen

Bedenkliche Entscheidung

Aktuell finden wieder die regulären Betriebsratswahlen in tausenden von Betrieben statt. Dabei haben Betriebsräte und Wahlvorstände immer wieder mit Störmanövern von Arbeitgebern zu kämpfen, die entweder versuchen, die Wahlen zu verhindern bzw. zu erschweren oder aber in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das Gesetz sagt dazu in § 20 BetrVG:

 „(1) Niemand darf die Wahl des Betriebsrates behindern.
(2) Niemand darf die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.“

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte nun die sehr praxisrelevante Frage zu entscheiden, ob Arbeitgeber im Rahmen der Betriebsratswahlen zu einer strikten Neutralität verpflichtet sind und daher in keiner Weise auf die Wahlen einwirken dürfen oder aber ein arbeitgeberseitiges Einwirken auf die Wahlen in einem gewissen Rahmen noch rechtlich zulässig ist (BAG, Beschluss vom 25.10.2017 – 7 ABR 10/16).

Was war der zu entscheidende Fall?
Hintergrund der Entscheidung war eine Wahlanfechtung. Im Mai 2014 fand in einem Betrieb mit ca. 950 Arbeitnehmern eine Betriebsratswahl statt, in der ein 13-köpfiger Betriebsrat gewählt wurde. Zur Wahl standen insgesamt vier Listen:

  • Liste 1 („Initiative Innendienst“) erhielt 305 Stimmen und damit fünf Sitze.
  • Liste 2 („Große Außendienstliste“) erhielt 137 Stimmen und damit zwei Sitze.
  • Liste 3 („Mutter aller Listen“) erhielt 84 Stimmen und damit einen Sitz.
  • Liste 4 („Im Blick“) erhielt 276 Stimmen und damit fünf Sitze.

Diese Wahl wurde anschließend von drei wahlberechtigten Mitarbeitern, unter ihnen die Betriebsratsvorsitzende des vorherigen Betriebsrates Frau S., angefochten.

Die Antragsteller trugen vor, dass die Geschäftsleitung versucht habe, den Ausgang der Wahl in unzulässiger Art und Weise zu beeinflussen. So sei die Arbeit der damaligen Betriebsratsvorsitzenden durch den Arbeitgeber öffentlich diskreditiert worden. Der Personalleiter hatte auf einem von der Geschäftsführung einberufenen Treffen der außertariflichen Mitarbeiter im September 2013 vor ca. 80 Anwesenden behauptet, die damalige Betriebsratsvorsitzende Frau S. behindere die Arbeit des Unternehmens. In diesem Zusammenhang regte der Personalleiter an, bei den kommenden Wahlen eine „gescheite Liste“ aufzustellen. Der damalige Geschäftsführer, der an diesem Treffen ebenfalls teilnahm, forderte darüber hinaus die Anwesenden auf „geeignete“ Mitarbeiter für eine Kandidatur zum neuen Betriebsrat zu suchen.

Im weiteren Verlauf sprach der Personalleiter im September/Oktober 2013 gezielt einzelne Beschäftigte an, ob sie sich zur Wahl stellen und ggf. auch den Betriebsratsvorsitz übernehmen würden. Auf einem Führungskräftetreffen im Oktober 2013 erklärte der Personalleiter, jeder, der Frau S. seine Stimme gebe, begehe „Verrat“ am Unternehmen. Die Einflussnahme durch Geschäftsführung und den Personalleiter habe dann zur Gründung einer weiteren Liste geführt und damit entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt.

Daher beantragten die drei Antragsteller die Feststellung der Nichtigkeit der Wahl, hilfsweise die im Mai 2014 durchgeführte Wahl für unwirksam zu erklären.

Der Arbeitgeber hingegen war der Ansicht, dass die Äußerungen von Geschäftsführung und Personalleiter keine unzulässigen Wahlbeeinflussungen darstellen. Kritische Äußerungen über eine problematische Zusammenarbeit müssten beiden Seiten erlaubt sein.

Wie haben die Vorinstanzen entschieden?
Das erstinstanzliche Arbeitsgericht Wiesbaden wies die Anträge auf Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit der Wahl als unbegründet ab. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen erklärte hingegen in der zweiten Instanz die Wahl für unwirksam. Es ging davon aus, dass es dem Arbeitgeber über die speziellen Verbote des § 20 BetrVG hinaus verwehrt sei, in irgendeiner Weise auf die Wahlentscheidung Einfluss zu nehmen. Die Bildung und Zusammensetzung des Betriebsrats sei ausschließlich eine Angelegenheit der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber habe sich als Gegenspieler des Betriebsrates jeglichen Einflusses auf dessen Zusammensetzung zu enthalten. Er unterliege insofern einer strikten Neutralitätspflicht. Insbesondere dürfe der Arbeitgeber keine Wahlpropaganda für oder gegen eine bestimmte Liste oder einzelne Wahlbewerber machen. Dem Arbeitgeber sei es daher nicht gestattet, Wahlempfehlungen auszusprechen oder gezielt einzelne, ihm zugeneigte Bewerber zur Kandidatur aufzufordern.

Dies sieht auch der ganz überwiegende Teil der herrschenden Meinung in der juristischen Fachliteratur so (vgl. etwa: DKKW/Homburg 15. Aufl. § 20 Rn. 16 und 19; ErfK/Koch 17. Aufl. § 20 BetrVG Rn. 7; Fitting 28. Aufl. § 20 Rn. 24 mwN; Maschmann BB 2010, 245, 250; aA Bayreuther FS Unberath 2015 S. 35, 47; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 20 Rn. 30; Rieble ZfA 2003, 283, 295 ff.; Rieble/Wiebauer ZfA 2010, 63, 123 ff.; einschränkend, gegen ein absolutes „Äußerungsverbot“ für den Arbeitgeber Thüsing in Richardi BetrVG 15. Aufl. § 20 Rn. 20 f.).

Gegen die Entscheidung des LAG Hessen legten Arbeitgeber und Betriebsrat Rechtsbeschwerde beim BAG ein.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht diesen Fall beurteilt?
Das BAG gab der Rechtsbeschwerde von Betriebsrat und Arbeitgeber statt. Es stellte fest, dass im vorliegenden Fall nicht gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen wurde und daher die Betriebsratswahl wirksam war.

Nach Ansicht des BAG besteht keine strikte Neutralitätspflicht des Arbeitgebers in dem Sinne, dass dieser jede Einflussnahme auf die Wahlentscheidung zu unterlassen hat. Vielmehr darf sich der Arbeitgeber im Rahmen des Meinungswettstreits zur Betriebsratswahl äußern, Bewertung von Kandidaten und Listen abgeben und auch Mitarbeiter zur Kandidatur auffordern, solange er damit nicht gegen das Verbot der Wahlbehinderung und -beeinflussung gemäß § 20 BetrVG verstößt. Eine Beeinflussung der Wahl nach § 20 Abs. 2 BetrVG hat das BAG ausdrücklich nicht gesehen, da keine konkrete Androhung von Nachteilen durch den Arbeitgeber erfolgt sei. Die Anregung des Arbeitgebers, eine andere, arbeitgeberfreundliche Liste aufzustellen und das gezielte Werben von Kandidaten auf dieser Liste sei noch keine verbotene Wahlbeeinflussung. Auch die Aussage, wer Frau S. wähle, begehe Verrat am Unternehmen, sei noch nicht als verbotene Wahlbeeinflussung zu werten. Es wurden keine konkreten Nachteile angedroht, falls jemand doch Frau S. wählt.

Ob sich eine strikte Neutralitätspflicht des Arbeitgebers aus § 20 Abs. 1 BetrVG herleiten lässt, hat das BAG in seiner Entscheidung leider nicht geprüft. § 20 Abs. 1 BetrVG verbietet die Behinderung der Wahl. In der juristischen Literatur wird vertreten, dass der Arbeitgeber Wahlwerbung zugunsten bestimmter Kandidaten oder Listen zu unterlassen hat, da die Wahl des Betriebsrats allein Sache der Arbeitnehmer des Betriebs ist (vgl. ErfK/Koch § 20 Rn. 7; Fitting, 29. Aufl. 2018, BetrVG § 20 Rn. 9). Ebenfalls wird es nach § 20 Abs. 1 BetrVG als unzulässig angesehen, wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer hinsichtlich der Ausübung von Wahlbefugnissen Anweisungen (auch wenn diese in Form von Hinweisen oder Empfehlungen gekleidet sind) gibt (Fitting, 29. Aufl. 2018, BetrVG § 20 Rn. 17; GK-BetrVG/Kreutz Rn. 17). Das Verhalten des Arbeitgebers kann hier als unzulässige Wahlwerbung gesehen werden. Die Aussage, wer Frau S. wähle begehe „Verrat am Unternehmen“ kann durchaus als eine Anweisung (zumindest als Empfehlung) an die anwesenden Arbeitnehmer verstanden werden, Frau S. nicht zu wählen. Insofern hätte das BAG hier auch prüfen müssen, ob das Verhalten des Arbeitgebers ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 BetrVG darstellt bzw. ob sich aus § 20 Abs. 1 BetrVG eine Einschränkung der Meinungsfreiheit des Arbeitgebers hinsichtlich der Wahl des Betriebsrates ergibt.

Was bedeutet dies für die Praxis?
Die Entscheidung überdehnt die Reichweite des § 20 Abs. 2 BetrVG und die gesetzliche Vorgabe einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Die Bildung und Zusammensetzung des Betriebsrates ist ausschließlich eine Angelegenheit der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist der betriebliche Gegenspieler des Betriebsrates. Als solcher hat er sich jeglichen Einflusses auf dessen Zusammensetzung zu enthalten – unabhängig davon, ob er konkrete Nachteile androht.

Leider hat sich das BAG nicht ausreichend mit dem § 20 Abs. 1 BetrVG auseinandergesetzt und diese Norm nicht in die Prüfung einbezogen, ob der Arbeitgeber zu einer strikten Neutralität in Zusammenhang mit den Betriebsratswahlen verpflichtet ist. Auch setzt sich das BAG nicht ausreichend mit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit gem. § 2 Abs. 1 BetrVG auseinander und prüft nicht, ob sich hieraus ein Gebot der Neutralität des Arbeitgebers für die Wahl des Betriebsrates ergibt. So bleibt die rechtliche Prüfung des BAG unvollständig und es ergibt sich eine durchaus bedenkliche Entscheidung, die künftig starken Einfluss in der Praxis haben kann.

Es steht zu befürchten, dass Arbeitgeber mit Verweis auf diese Entscheidung in Zukunft verstärkt versuchen werden, Einfluss auf die Betriebsratswahl zu nehmen, um einen arbeitgeberfreundlichen Betriebsrat zu bekommen. Die Grenze, ab wann eine nach § 20 BetrVG verbotene Wahlbeeinflussung vorliegt, ab wann von einer tatsächlichen Androhung von Nachteilen gesprochen werden kann und ob diese Androhung auch die Wahl des Betriebsrates beeinflusst, wird sich nach dieser Entscheidung in der Praxis nur sehr schwer ziehen lassen.

Mehr denn je ist zu empfehlen, Störmanöver des Arbeitgebers frühzeitig zum Thema im Betrieb zu machen. Ziel des Arbeitgebers ist es, einen Keil zwischen die unliebsamen Wahlbewerber und den Rest der Belegschaft zu treiben. Dem lässt sich nur durch stete Aufklärung begegnen. Wichtig ist, dem Arbeitgeber nicht das Feld zu überlassen, sondern die Kollegen aufzuklären. Gerne beraten und unterstützen wir Wahlvorstände und Betriebsräte in diesen Angelegenheiten.

BGHP Betriebsratsberater-Team, 16.04.2018