Sozialauswahl

Betriebsrat und Sozialauswahl

Der Betriebsrat kann insbesondere im Rahmen von Massenkündigungen erheblichen Einfluss auf das Kündigungsgeschehen nehmen.

Dies sehen bereits § 1 Abs. 4 und 5 KSchG vor. Absatz 4 regelt die Möglichkeit, dass der Betriebsrat mit dem Arbeitgeber so genannte Sozialauswahlrichtlinien vereinbart. Absatz 5 regelt die Möglichkeit, im Fall von Betriebsänderungen gem. § 111 BetrVG eine Namensliste der betroffenen Arbeitnehmer zu erstellen.

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Wozu wird der Arbeitgeber verpflichtet, eine Sozialauswahl durchzuführen?

Die Frage nach der Sozialauswahl stellt sich regelmäßig nur bei betriebsbedingten Kündigungen. Wenn der Arbeitgeber einen solchen Grund hat, soll er bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer denjenigen wählen, der am wenigstens schutzwürdig ist.

Das heißt im Umkehrschluss, dass diejenigen Arbeitnehmer, die eine Kündigung besonders hart treffen würde, besonderen Schutz genießen, währenddessen diejenigen, die am wenigsten schutzbedürftig sind, als erste gekündigt werden müssen. Dazu gibt es auch Ausnahmen.

Wenn der Arbeitgeber anerkennenswerte Gründe hat, von mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern einige aber nicht alle zu kündigen, stellt sich zwangsläufig die Frage, welchem der miteinander vergleichbaren Arbeitnehmer eine Kündigung erteilt werden darf.

Beispiel:
Der Arbeitgeber beschließt, wegen eines Auftragsrückgangs zukünftig nur noch 10 statt bisher 14 Arbeitnehmer/innen zu beschäftigen.
Wenn der Arbeitgeber die eine Kündigung rechtfertigenden betriebsbedingten Kündigungsgründe im Sinne des § 1 KSchG darstellen und beweisen kann, darf er die 4 Stellen abbauen.
Er kann hier aber nicht wahllos 4 Arbeitnehmer/innen aussuchen und ihnen kündigen.
Wer letztendlich gekündigt wird, ist mit einer vom Kündigungsschutzgesetz (§ 1 Abs. 3 KSchG) vorgeschriebenen Sozialauswahl zu klären.

Nach der Entscheidung des Gesetzgebers in § 1 Abs. 3 KSchG ist der Arbeitgeber nicht frei in seiner Entscheidung, welchem der betroffenen Arbeitnehmer gekündigt werden soll.

Er hat die Auswahl der zu Kündigenden an der sozialen Schutzbedürftigkeit auszurichten. Hierzu ist eine Rangfolge der betroffenen Arbeitnehmer zu bilden, die unter ausreichender Berücksichtigung bestimmter sozialer Gesichtspunkte zu erfolgen hat.

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Auswahlkriterien

Die Durchführung der Sozialauswahl sieht folgende Kriterien vor:

•    Dauer der Betriebszugehörigkeit
•    Lebensalter
•    Unterhaltspflichten
und
•    Schwerbehinderung des Arbeitnehmers

Weitere Merkmale sind nicht mehr zu berücksichtigen.

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Wer ist in die Sozialauswahl einzubeziehen?

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bestimmt sich der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen („qualifikationsmäßige Austauschbarkeit“). Die Vergleichbarkeit wird noch nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass einzelne Arbeitnehmer bestimmte Tätigkeiten besonders beherrschen, beispielsweise bestimmte Maschinen bedienen können.

An einer Vergleichbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf Grund des zu Grunde liegenden Arbeitsvertrags nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann („arbeitsvertragliche Austauschbarkeit“, BAG, Urteil vom 5. 6. 2008 – 2 AZR 907/06).

Beispiele:

  • Teilzeitarbeiter
    Ob und inwieweit Teilzeitarbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind, ist jedenfalls dann arbeitsrechtlich schwierig zu beurteilen, wenn sowohl Vollzeitarbeitsplätze als auch Teilzeitarbeitsplätze von den betriebsbedingten Gründen erfasst werden.
  • Arbeitnehmer in der Probezeit
    Arbeitnehmer in der Probezeit (ohne allgemeinen Kündigungsschutz) müssen ebenso in die Sozialauswahl einbezogen werden.Sie können bei der Sozialauswahl aber nicht als sozial schutzwürdiger behandelt werden, als diejenigen Arbeitnehmer, die bereits den allgemeinen Kündigungsschutz erworben haben (BAG, Urteil vom 25.04.1985 – 2 AZR 140/84).

    Diese Arbeitnehmer sind  – unabhängig von allen Sozialdaten –  vorrangig vor den unter den allgemeinen Kündigungsschutz fallenden Arbeitnehmern zu entlassen, es sei denn, es liegen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG vor (BAG 25.04.1985 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 35, ArbG Frankfurt a.M. Az.: 9/17 Ca 7399/02 Urteil vom 04.12.2002)

  • Besonderer Kündigungsschutz
    (bei Betriebsräten, § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG, bei Wehr- und Zivildienstleistenden, §§ 2, 10 ArbPlSchG; § 78 ZDG usw.)

    Diese Arbeitnehmer sind in die Sozialauswahl von vornherein nicht einzubeziehen, denn sie sind, da im Ergebnis nicht kündbar, mit kündbaren Arbeitnehmern nicht vergleichbar.
    Die das Kündigungsverbot enthaltende gesetzliche Norm ist gegenüber § 1 Abs. 3 KSchG als lex specialis anzusehen und deshalb gegenüber der gesetzlichen Sozialauswahl vorrangig.

    Arbeitnehmer, deren Kündbarkeit nicht schlechthin ausgeschlossen, sondern von der Zustimmung eines Dritten abhängig ist (zB § 15 SchwbG; § 9 Abs. 3 MuSchG; § 18 Abs. 1 S. 2 BErzGG), dürfen nur in die Sozialauswahl einbezogen werden, wenn diese Zustimmung vorliegt.

    Arbeitnehmer, die ein befristetes Arbeitsverhältnis ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit für die Laufzeit der Befristung haben, sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen (BAG 19.6.1980 EzA § 620 BGB Nr. 47).

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Hat der Arbeitgeber einen Wertungsspielraum?

Die vier Kriterien der Sozialauswahl sind gleichbedeutend.

Der Arbeitgeber hat bei der Gewichtung der Sozialkriterien jedoch einen gewissen Wertungsspielraum. Die Auswahlentscheidung muss nur vertretbar sein.

Grob fehlerhaft i. S. des § 1 V 2 KSchG ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Der Arbeitgeber genügt seiner Pflicht, die gesetzlichen Kriterien ausreichend bzw. nicht grob fehlerhaft (§ 1V 2 KSchG) zu berücksichtigen bereits dann, wenn das Auswahlergebnis objektiv ausreichend bzw. nicht grob fehlerhaft ist. (BAG Urteil vom 17.01.2008 – 2 AZR 405/06)

Die Sozialauswahl gehört zu den Hürden, an denen eine betriebsbedingte Kündigung am ehesten scheitert.

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Nicht zu berücksichtigen bei der Sozialauswahl

  • Schulden und Vermögen des Arbeitnehmers
  • Nebeneinkünfte
  • Gesundheitszustand des Arbeitnehmers
    nur dann berücksichtigungsfähig, wenn sie einen unmittelbaren betrieblichen Bezug haben; z.B. Verletzungen, die auf Betriebsunfällen beruhen oder andere Beeinträchtigungen, die durch die betriebliche Tätigkeit verursacht sind (MüKoArbR/Berkowsky § 139 Rz. 75)
  • Erkrankung und Pflegebedürftigkeit von Angehörigen
    wenn der zu betreuende Verwandte die Pflege vom Arbeitnehmer als gesetzliche Unterhaltsleistung beanspruchen kann (Preis Prinzipien S. 423; APS/Kiel § 1 KSchG Rz. 718; KR-Etzel § 1 KSchG Rz. 656);
    erst wenn dies der Fall ist, kann dieser Umstand zusätzlich berücksichtigt werden, wenn zwei zu vergleichende Arbeitnehmer nach den drei Grunddaten Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten ansonsten gleichermaßen schutzbedürftig sind.
  • Leistungsunterschiede und krankheitsbedingten Fehlzeiten

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Überprüfung durch das Bundesarbeitsgericht

Das Bundesarbeitsgericht sagt zur Überprüfung der vom Arbeitgeber durchgeführten Sozialauswahl folgendes:

Nach § 1 III bis V KSchG ist grundsätzlich die konkret getroffene Sozialauswahl auf die ausreichende oder grob fehlerhafte Gewichtung der sozialen Kriterien zu überprüfen.
Es kommt damit auf einen Vergleich zwischen den Sozialdaten des gekündigten Arbeitnehmers und der Arbeitnehmer an, hinsichtlich derer der gekündigte Arbeitnehmer Fehler bei der Sozialauswahl rügt.

Bei § 1 III KSchG kann eine Fehlbeurteilung der sozialen Gesichtspunkte durch den Arbeitgeber nur dann zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, wenn sie die getroffene Sozialauswahl tatsächlich entscheidungserheblich beeinflusst hat.
Auch eine Sozialauswahl, die von unzutreffenden Bewertungskriterien ausgeht, kann zu einem richtigen Ergebnis gelangen.

Auch im Rahmen des § 1 IV KSchG kann sich eine fehlerhafte Bewertung der gesetzlichen Sozialkriterien durch einen Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung nach § 95 BetrVG oder eine entsprechende Richtlinie grundsätzlich nur dann auf die im Einzelfall getroffene Sozialauswahl auswirken, wenn der Bewertungsfehler bei der getroffenen Sozialauswahl überhaupt eine Rolle spielen kann.
Bewertet die Auswahlrichtlinie ein Sozialkriterium falsch, das für die konkrete Sozialauswahl unerheblich ist, so führt dies nicht zur Änderung des Prüfungsmaßstabs und zur Prüfung der Sozialauswahl allein nach § 1 III KSchG auf ausreichende Berücksichtigung der Sozialdaten.

Der abgemilderte Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nach § 1 IV KSchG ist nicht anzuwenden, wenn eine Auswahlrichtlinie eines der gesetzlichen Sozialkriterien, nämlich das Alter des Arbeitnehmers so gering bewertet, dass es in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle als relevantes Auswahlkriterium überhaupt nicht berücksichtigt wird und allenfalls noch in extremen Ausnahmefällen als Zusatzkriterium eine Rolle spielen kann (BAG, Urteil vom 18.10.2006 – 2 AZR 473/05).

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Ausnahmen

Ist jeder Arbeitnehmer/in in die Sozialauswahl einzubeziehen?

Bestimmte Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen, ist für den Arbeitgeber immer dann wichtig, wenn er durch die Sozialsauswahl einen ihm wichtigen Arbeitnehmer kündigen müsste, den er behalten möchte.

  • § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG

In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, sog. Leistungsträger.

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Personalstruktur

Abweichen von den Regeln der Sozialauswahl zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur

Als berechtigtes betriebliches Interesse, das ein Abweichen von der Sozialauswahl rechtfertigt, gilt auch die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur.

„Sicherung“ bedeutet die Erhaltung der bisherigen Struktur, nicht aber die Schaffung einer anderen leistungsfähigeren Struktur.
Zur Personalstruktur gehört vor allem die Altersstruktur der Belegschaft. Würde die Auswahl nach den vier sozialen Kriterien (Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) bei der Entlassung einer größeren Zahl von Arbeitnehmern zur Überalterung der Belegschaft führen, soll der Arbeitgeber Altersgruppen innerhalb des zur Sozialauswahl stehenden Personenkreises bilden dürfen und aus diesen Gruppen anteilmäßig Arbeitnehmer entlassen.
Die Sozialauswahl muss dann innerhalb der einzelnen Gruppen erfolgen.

Ebenso kann er zur Aufrechterhaltung der bisherigen Leistungsstruktur Gruppen etwa der Arbeitnehmer mit überdurchschnittlichen, durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Leistungen bilden und aus diesen Gruppen anteilig gleich vielen Arbeitnehmern kündigen.

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Leistungsträger

Zur Aufrechterhaltung der bisherigen Leistungsstruktur kann der Arbeitgeber Gruppen etwa der Arbeitnehmer mit überdurchschnittlichen, durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen Leistungen bilden und aus diesen Gruppen anteilig gleich vielen Arbeitnehmern kündigen.

In der Praxis scheitert die Herausnahme von „Leistungsträgern“ nicht selten daran, dass der Arbeitgeber die von ihm vorgenommene Abwägung im Prozess nicht darstellen kann.

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Was heißt das für den Arbeitgeber?

§ 1 Abs. 3 KSchG erlaubt dem Arbeitgeber, bei der Sozialauswahl ein Punkteschema anzuwenden, wenn keine förmliche Auswahlrichtline nach § 1 Abs. 4 KSchG (nach Tarif oder Betriebsvereinbarung) vorliegt, welche sozialen Gesichtspunkte bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen sind und wie diese im Verhältnis zueinander zu bewerten sind.

Der Arbeitgeber ist allerdings gehalten, eine Punktetabelle nur zur Vorauswahl zu verwenden.
In jedem Fall muss im Anschluss an die Vorauswahl aufgrund der Punktetabelle eine individuelle Abschlussprüfung der Auswahl stattfinden (BAG 18.01.1990 – 2 AZR 357/89 – BAGE 64, 34; BAG Urteil vom 05.12.2002, 2 AZR 549/01).

Die gerichtliche Überprüfung der Sozialauswahl darf nicht aufgrund eines schematischen Punktesystems erfolgen, sie hat vielmehr die Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen (BAG 24.03.1983 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 21).

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