Arbeits- und Sicherheitsanweisungen

→ BAG 1. Senat, Beschluss vom 16.06.1998 – 1 ABR 68/97, 2. Instanz: Landesarbeitsgericht Berlin

Der Betriebsrat hat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber verbindliche Arbeits- und Sicherheitsanweisungen erlässt, um Unfallverhütungsvorschriften zu konkretisieren.

Der Betriebsrat kann verlangen, dass der Arbeitgeber Arbeits- und Sicherheitsanweisungen, die er unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts bereits bekannt gegeben hat, zurücknimmt. Hat er sie z.B. in einem Handbuch gegenüber dem Arbeitnehmer veröffentlicht und für verbindlich erklärt, kann der Betriebsrat die Herausnahme aus dem Handbuch verlangen.

In dem vom BAG entschiedenen Fall stritten der Gesamtbetriebsrat und die Arbeitgeberin, die Aufzüge und Fahrtreppen in bundesweit 48 Betriebsstätten mit insgesamt 4.190 Arbeitnehmern herstellt, montiert und vertreibt.

Die Arbeitgeberin stellte den bei ihr beschäftigten Meistern ein Handbuch zur Verfügung, das für alle Arbeitnehmer verbindliche Arbeits- und Sicherheitsanweisungen enthielt. In diesem fanden sich u.a. Regelungen zu Absturzsicherungen, Zugang zum Triebwerks- und Rollenraum, zu Arbeiten auf dem Kabinendach, zu Arbeiten in der Schachtgrube und zu elektrischen Betriebsmitteln. Diese Arbeitsanweisungen richteten sich an die Monteure der Arbeitgeberin bei der Arbeit an Aufzügen und Fahrtreppen. Sie beschreiben die auftretenden Gefahren, bezeichnen Schutzmaßnahmen und Verhaltensgrundsätze, regeln das Verhalten bei Störungen und Unfällen, bestimmen die Pflichten bei Instandhaltungen, drohen arbeitsrechtliche Maßnahmen bei Nichtbeachtung an und verweisen im Übrigen auf „Basisvorschriften, darunter Unfallverhütungsvorschriften (Allgemeine Vorschriften – VBG 1, Bauarbeiten – VBG 37, Leitern und Tritte – VBG 74, Erste Hilfe – VBG 109), Sicherheitsregeln (Merkblatt über Sicherheitsmaßnahmen bei der Montage und Instandhaltung von Aufzugsanlagen – ZH 1/312, Regeln für den Einsatz von persönlichen Schutzausrüstungen gegen Absturz – ZH 1/709) sowie DIN-Vorschriften (DIN 031051, DIN 4420, DIN VDE 0701).

Der Gesamtbetriebsrat berief sich auf sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG und beantragte beim Arbeitsgericht, die aufgelisteten Arbeitsanweisungen aus dem Handbuch herauszunehmen.

Die Arbeitgeberin beantragte die Zurückweisung der Anträge, weil sie der Auffassung war, die streitigen Maßnahmen seien nicht mitbestimmungspflichtig.

Das Arbeitsgericht Berlin, das Landesarbeitsgericht Berlin und das Bundesarbeitsgericht gaben dem Betriebsrat Recht.

Der Gesamtbetriebsrat war im vorliegenden Falle gem. § 50 Abs. 1 BetrVG deshalb zuständig, weil es sich um unternehmensweit einheitliche Montagearbeiten im Außendienst handelte. Die spezifischen Gefahren verwirklichten sich somit vorrangig nicht in den Einzelbetrieben, sondern betrafen den Arbeitsplatz am Montage- bzw. Wartungsort, der regelmäßig außerhalb des jeweiligen Einzelbetriebs lag. Es handelte sich somit um Tätigkeiten, die von den örtlichen Verhältnissen der Betriebe unabhängig waren.

Dem Gesamtbetriebsrat stand ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu. Danach hat der Betriebsrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, mitzubestimmen bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und Unfallverhütungsvorschriften. Der Mitbestimmungstatbestand setzt voraus, dass eine Vorschrift vorliegt, die Maßnahmen der Unfallverhütung bzw. des Gesundheitsschutzes fordert, dabei aber ein ausfüllungsfähigen und ausfüllungsbedürftigen Rahmen vorgibt, innerhalb dessen den Betriebspartnern ein Regelungsspielraum verbleibt.
Das BAG und auch das LAG Berlin sahen in der Rahmenvorschrift des § 2 Abs. 1 VBG 1 (Unfallverhütungsvorschrift – allgemeine Vorschriften) diese gesetzliche Rahmenvorschrift.

Nach § 2 Abs. 1 VBG 1 hat der Unternehmer zur Verhütung von Arbeitsunfällen Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, die den Bestimmungen dieser Regelung und den für ihn sonst geltenden Unfallverhütungsvorschriften und im Übrigen den allgemein anerkannten sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen Regeln entsprechen. Bei dieser sehr weit gefassten Generalklausel handelte es sich wie auch zu der außer kraft getretenen Vorschrift des § 120a GewO um eine Rahmenvorschrift im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Der Mitbestimmungstatbestand setzt gerade einen Regelungsspielraum voraus, wie er arbeitsschutzrechtlichen Generalklauseln typischerweise zueigen ist.

Auch § 4 Abs. 1 VBG 1, wonach der Arbeitgeber geeignete persönliche Schutzausrüstungen zur Verfügung zu stellen und in ordnungsgemäßem Zustand zu halten hat, wenn durch betriebstechnische Maßnahmen nicht ausgeschlossen ist, dass Arbeitnehmer Unfall- und Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind, ist eine ausfüllungsfähige und ausfüllungsbedürftige Vorschrift. Das BAG führt hierzu aus, dass hinsichtlich der Frage, für welche von verschiedenen, aber gleich geeigneten Schutzausrüstungen sich der Arbeitgeber entscheidet, keine Festlegung bestehe. Vielmehr lasse die Vorschrift dem Arbeitgeber im Sinne eines Auswahlermessens ein Wahlrecht unter mehreren „geeigneten“ Möglichkeiten. Damit stelle sich eine Regelungsfrage. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen gerade gemeinsam entscheiden, mit welchen Mitteln der vorgeschriebene Sicherheitsstand erreicht werden kann. Ein mitbestimmungspflichtiger Gestaltungsspielraum ergäbe sich auch aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 PSA-Benutzungsverordnung, wonach der Arbeitgeber nur solche persönlichen Schutzausrüstungen auswählen und den Beschäftigten bereitstellen darf, die für die am Arbeitsplatz gegebenen Bedingungen geeignet sind. Sobald es mehrere „geeignete“ Maßnahmen gibt, stellt sich eine mitbestimmungspflichtige Regelungsfrage.

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Berger (Fachanwalt für Arbeitsrecht)