14.11.2017

Betriebsratssitzungen zukünftig online?

Im digitalen Zeitalter werden im Arbeitsleben immer mehr Sitzungen/Meetings/Arbeitsgruppen nicht mehr face to face, sondern per Videokonferenz oder digitaler Kommunikation durchgeführt. Dies hat zweifelsfrei den Vorteil, dass Reisezeiten entfallen und man schneller und vor allem kostengünstiger kommunizieren kann. Vor diesem Hintergrund findet seit Jahren eine Debatte darüber statt, ob nicht auch im Rahmen von Betriebsratsarbeit verstärkt auf die digitale Kommunikation zurückgegriffen werden kann, also Betriebsratssitzungen und Treffen von Betriebsratsausschüssen bspw. auch per Videoliveschaltung stattfinden können. Neu entflammt ist die Debatte jetzt durch eine Gesetzesänderung: Zum 10.10.2017 ist der § 41a EBRG in Kraft getreten. Danach können Seeleute, die Mitglied eines Europäischen Betriebsrates sind, unter gewissen Voraussetzungen an Sitzungen mittels „neuer Informations- und Kommunikationstechnologien“ teilnehmen.

Was gilt bis jetzt?
Aktuell verlangt § 33 BetrVG, dass die Sitzungen des Betriebsrates in persönlicher Anwesenheit der Betriebsratsmitglieder stattfinden. Das Gremium ist nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Mitglieder bei der Sitzung anwesend ist und an der Beschlussfassung teilnimmt. Ein Beschluss, der im Umlaufverfahren oder per Telefon- bzw. Videokonferenz gefasst wird, ist unwirksam – selbst wenn daran mehr als die Hälfte der Betriebsratsmitglieder mitgewirkt haben. Beschlüsse des Betriebsrates sind also zwingend im Rahmen einer physischen Sitzung bei persönlicher Anwesenheit der Mitglieder zu treffen.

Hintergrund dieser bislang unstrittigen Rechtslage ist der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Sitzungen des Betriebsrates (§ 30 Satz 4 BetrVG): Der Betriebsrat soll ohne Beeinflussung von außen seine Beschlüsse treffen können. Ansonsten besteht die Gefahr der unrechtmäßigen Einflussnahme durch Dritte. Es ist technisch nur schwer zu garantieren, dass unberechtigte Dritte nicht den Gesprächsinhalt mitverfolgen und schlimmstenfalls direkten Einfluss auf Abstimmungen nehmen können. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Gestik und Mimik bei einem Treffen mit persönlicher Anwesenheit viel stärker zum Ausdruck kommen und einen durchaus gewichtigen Einfluss auf die Entscheidungsfindung haben können. Dies würde im Rahmen einer digitalen Betriebsratssitzung wegfallen bzw. weniger Berücksichtigung finden und hätte entsprechenden Einfluss auf den Willensbildungsprozess des Betriebsrates. Außerdem ist gewünscht, dass eine Diskussion und ein Meinungsaustausch innerhalb der Sitzungen stattfinden, was bspw. bei Beschlüssen im Umlaufverfahren nicht möglich wäre.

Der strenge Grundsatz, dass Beschlüsse nur auf einer Sitzung unter persönlicher Anwesenheit der Betriebsratsmitglieder erfolgen dürfen, könnte in der Folge einer Gesetzesänderung künftig jedoch in Frage gestellt werden.

Was hat sich geändert?
Zum 10.10.2017 ist der neue § 41a EBRG in Kraft getreten. Er trifft besondere Regelungen für Seeleute, die Mitglied eines Europäischen Betriebsrates sind. Für diese Personengruppe wurde nun die Möglichkeit geschaffen, an Sitzungen mittels „neuer Informations- und Kommunikationstechnologien“ teilzunehmen. Eine Sitzung per Videokonferenz kann demnach erfolgen, wenn sie die Geschäftsordnung des Gremiums vorsieht und die Vertraulichkeit der Sitzung technisch gewährleistet ist. Auch wenn hier nur der sehr kleine Bereich von Seeleuten im Europäischen Betriebsrat erfasst wird, kann es sein, dass diese Gesetzesänderung künftig als Anlass dient, auch in anderen Bereichen von Betriebsratsarbeit Sitzungen per digitaler Kommunikation zu fordern.

Tabubruch oder Chance?
Ob die Gesetzesänderung als Chance oder als Tabubruch anzusehen ist, wird sehr unterschiedlich bewertet. Zunächst einmal ist zu berücksichtigen, dass die Gesetzesänderung die besonderen Umstände berücksichtigt, die sich für Seeleute ergeben. Auf hoher See oder in einem fremden Hafen lässt sich eben nur schwer an einer Betriebsratssitzung teilnehmen. Folge ist, dass häufig keine Beschlussfähigkeit besteht, weil nicht genug Mitglieder an der Sitzung teilnehmen können. Entscheidungen werden dadurch verzögert bzw. erschwert. Daher ist es prinzipiell zu begrüßen, dass der Gesetzgeber für diese besondere Situation die Möglichkeit geschaffen hat, Sitzungen mittels Videoübertragungen stattfinden zu lassen. Eine Schwierigkeit wird jedoch vor allem darin liegen, technisch zu gewährleisten, dass Dritte keine Kenntnis vom Inhalt der Sitzung nehmen können.

Schon jetzt ist abzusehen, dass aufgrund der Gesetzesänderung die Forderung laut wird, auf die persönliche Anwesenheit auch in weiteren Fallkonstellationen zu verzichten. Zum einen wird das Kostenargument der Arbeitgeberseite angeführt: Wenn die persönliche Anwesenheit bei Betriebsratssitzungen nicht mehr erforderlich wäre und auch auf Videokonferenzen zurückgegriffen werden könnte, würden Reisekosten eingespart und Reisezeiten wegfallen. Vor allem für die Sitzungen von Gesamtbetriebsräten oder für Betriebe mit vielen Außenstellen würde dies zu einer Kostenersparnis der Arbeitgeber führen.

Auch schrecken häufige Reisezeiten Beschäftigte evtl. davon ab, für den Betriebsrat zu kandidieren. Die Ausweitung von digitaler Kommunikation für Betriebsräte könnte dann vielleicht dazu führen, dass sich mehr Kandidaten für das Amt des Betriebsrates finden. Hinzu kommt, dass sich technischer Fortschritt nur schwer aufhalten lässt und auch vor Betriebsräten nicht Halt macht. In vielen Unternehmen gehören Videokonferenzen mittlerweile zum Standard.

Auf der anderen Seite stehen aber erhebliche Gefahren im Raum. Der interne Austausch von Positionen und Meinungen zum Zwecke eines gemeinsamen Beschlusses ist eben viel intensiver, wenn sich die Beteiligten auch persönlich gegenüberstehen. Das persönliche Gespräch lässt sich nur schwer per Telefon- oder Videokonferenzen ersetzen. Vor allem aber darf das Risiko nicht unterschätzt werden, dass Dritte Kenntnis vom Inhalt der Sitzungen erhalten, Videoaufzeichnungen gespeichert und ggf. vom Arbeitgeber ausgewertet werden und so die Betriebsratsmitglieder Angst haben, zu sagen, was sie wirklich denken. Auch können Beweisprobleme auftreten, wenn nicht gut dokumentiert wird, wer alles an der jeweiligen Sitzung teilgenommen hat. Die klassische Anwesenheitsliste, auf der sich die Betriebsratsmitglieder eigenhändig einzutragen haben, ist für den Fall einer Videokonferenz nicht nutzbar.

Jedes Gremium sollte selbst entscheiden können
Aufgrund der Vorzüge und Risiken sollte es Betriebsräten künftig freigestellt werden, ob sie in Zukunft digitale Kommunikationsmittel stärker nutzen oder aber bei der klassischen Sitzung mit persönlicher Anwesenheit bleiben. Dann kann jedes Gremium für sich abwägen, ob es die Gefahren oder den Nutzen größer einschätzt. Wenn technisch sichergestellt werden kann, dass keine unbefugten Dritten von Inhalt der Sitzung Kenntnis nehmen können und die Dokumentation der Sitzungsteilnahme gewährleistet ist, können Sitzungen per Videokonferenz durchaus eine Chance darstellen, die Betriebsratsarbeit zu effektivieren. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber dieses Thema demnächst auf die politische Tagesordnung setzen wird. Ein erster Schritt ist jedenfalls durch die Einführung des § 41 a EBRG erfolgt.

BGHP Betriebsratsberater-Team, 14.11.2017