Inhalt von Sozialplanforderungen

In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtmäßigkeit von Sozialplanforderungen (→ BAG, Urteil vom 24.04.2007 – 1 AZR 252/06) und der Rechtmäßigkeit von Streiks für Sozialplanforderungen ging es um zwei Unternehmen in Schleswig Holstein. Beide Unternehmen gehörten dem Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie für das Gebiet Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern an. Verklagt war die IG-Metall als Tarifpartnerin.

Die IG-Metall gewann das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht und wehrte somit erfolgreich Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche der Arbeitgeberverbände gegen Arbeitskampfmaßnahmen, die auf einen Tarifsozialplan gerichtet waren, ab.

Die Entscheidung eröffnet für betroffene Belegschaften einen gangbaren Weg, Arbeitgeberplanungen zu Betriebsänderungen, Standortschließungen und Massenentlassungen erfolgreich abwehren zu können, mindestens aber Abfindungen nach oben zu treiben.

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Berger (Fachanwalt für Arbeitsrecht)

BAG, Urteil vom 24.04.2007 – 1 AZR 252/06

Das eine Unternehmen plante die Schließung seines Logistikzentrums in Elmshorn mit rd. 80 Beschäftigten.

Die Betriebsparteien setzten kurz nach Kundgabe der Schließungsabsicht eine betriebliche Einigungsstelle zur Herbeiführung eines Interessenausgleichs und Sozialplans ein.

Gleichzeitig erhielt der Arbeitgeberverband ein Schreiben der IG-Metall, mit dem diese die Aufnahme von Verhandlungen über einen „firmenbezogenen Verbandsergänzungstarifvertrag gemäß § 3 Abs. 1 TVG und für den Geltungsbereich der Y. GmbH“ verlangte, für dessen Inhalt sie bestimmte Forderungen stellte.

Der Verband lehnte die Aufnahme von Tarifverhandlungen ab.

Mit Aushang vom 05.03.2003 forderte die IG-Metall die Beschäftigten des Elmshorner Betriebs zu einem Warnstreik auf. In dem Aufruf hieß es:

„Wir wollen parallel zu den stattfindenden Verhandlungen der Einigungsstelle für unsere Forderungen für einen IG Metall Ergänzungstarifvertrag eintreten und fordern Nordmetall und Geschäftsführung auf, zur Vernunft zurückzukehren und Tarifverhandlungen mit der IG Metall aufzunehmen. Unsere Forderungen für einen IG Metall Ergänzungstarifvertrag lauten:

Rechtsanspruch auf einheitliche tarifvertragliche Kündigungsfristen mit einer Mindestkündigungsfrist von zwei Monaten, ab fünf Jahren Betriebszugehörigkeit von zwölf Monaten und ab zehn Jahren Betriebszugehörigkeit von 24 Monaten.

Rechtsanspruch auf tarifvertragliche Sozialplanabfindung als tarifvertragliche Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes bei Y. GmbH von zwei Bruttomonatsgehältern . . . pro Beschäftigungsjahr.“

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Berger (Fachanwalt für Arbeitsrecht)

→ BAG, Urteil vom 24.04.2007 – 1 AZR 252/06

Das andere Unternehmen war die Heidelberger Druck AG, ebenfalls Mitglied des Arbeitgeberverbands mit Sitz in Heidelberg und weltweit rd. 19.000 Mitarbeitern.

Sie führte in Deutschland neben weiteren Standorten einen Betrieb in Kiel. Dort wurden unter anderem digitale Druckmaschinen und Geräte für die Druckvorstufe entwickelt, produziert und montiert. Im Betrieb waren gegen Ende des Jahres 2002 etwa 1.050 Arbeitnehmer beschäftigt. Im Oktober 2002 beschloss der Vorstand, zur Kostenersparnis künftig die bislang in Kiel vorgenommene Montage eines bestimmten Typs digitaler Druckmaschinen am Standort Rochester in den USA und die Endmontage von so genannten Prepress-Geräten am deutschen Hauptstandort in Wiesloch vornehmen zu lassen. Mit dieser Planung war im Kieler Betrieb der Wegfall von 562 Arbeitsplätzen verbunden.

In der Folgezeit versuchte die Unternehmensleitung, Unterrichtungs- und Beratungsgespräche mit dem örtlichen Betriebsrat aufzunehmen und über einen Interessenausgleich zu verhandeln. Am 16.12.2002 leitete sie ein Verfahren zur Bestellung des Vorsitzenden einer betrieblichen Einigungsstelle ein.

Daraufhin kündigte die IG-Metall mit Schreiben vom 18.12.2002 die Regelungen zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen in § 14 Nr. 1, 2 und 5 des zwischen den Parteien geschlossenen Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten der Metallindustrie vom 18.05.1990 idF vom 20.04.2000 (MTV) zum 31.01.2003; zugleich forderte sie eine Neufassung auf der Basis des § 622 BGB und eine Öffnungsklausel für betriebliche Ergänzungstarifverträge zur Verlängerung der Fristen. In dem anderen Schreiben schlug die IG-Metall dem Arbeitgeberverband vor, mit ihr in Verhandlungen über einen nur auf den Kieler Betrieb der HDM-AG bezogenen Verbandstarifvertrag zu treten.

Sie forderte für die Beschäftigten dieses Betriebs den Abschluss folgender tariflicher Regelungen für den Fall,

„dass es trotz der Bemühungen des Betriebsrates zur Produktionsverlagerung und betriebsbedingten Kündigungen kommt:

Für eine betriebsbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber gilt eine Grundkündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende. Die Grundkündigungsfrist verlängert sich um jeweils zwei Monate für jedes volle Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses.

Beschäftigte, die betriebsbedingt gekündigt werden, haben nach Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf
– Qualifizierungsmaßnahmen für alle Beschäftigten bis zu 24 Monate unter Fortzahlung der
Vergütung. Auszubildende erhalten nach Abschluss ihrer Berufsausbildung eine
Anpassungsqualifikation
– sowie auf eine Abfindung in Höhe von zwei Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr zuzüglich
Erhöhungsbetrag für Unterhaltsverpflichtung und Schwerbehinderung/Gleichstellung.
Die Vorschriften der §§ 111 ff. BetrVG bleiben unberührt.

Über Art und Inhalt der Qualifizierung entscheidet eine paritätische Kommission auf der Grundlage der Aus- und Weiterbildungswünsche der Beschäftigten. Bei Nichteinigung entscheidet die Einigungsstelle.

Die Qualifizierungsmaßnahmen werden in den vorhandenen Betriebsstätten durchgeführt.

Die Firma Heidelberger Druckmaschinen AG trägt die Kosten der Qualifizierungsmaßnahmen.“

Der Arbeitgeberverband hat behauptet, ein ähnliches Geschehen habe sich in der Folgezeit in weiteren Fällen abgespielt. Dahinter verberge sich eine neue Strategie der IG-Metall. Diese versuche mittels völlig überzogener Tarifforderungen  – deren Erfüllung für die Heidelberger Druck AG einer Belastung mit etwa 200 Mio. Euro gleichgekommen sei -,  geplante Betriebsänderungen als solche zu verhindern. Dies werde neben anderen Indizien aus Vorträgen, Veröffentlichungen und Schriftverkehr des regional zuständigen Rechtssekretärs der IG-Metall deutlich.

Mit seiner Klage hat der Arbeitgeberverband die IG-Metall auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen. Er hat die Auffassung vertreten, das Vorgehen der IG-Metall sei rechtswidrig. Der Arbeitgeberverband hatte eine Reihe von rechtlichen Einwänden vorgebracht unter anderem auch zu dem Inhalt der Forderungen, die der Art und Höhe nach auf die Verhinderung der jeweils geplanten Betriebsänderung abzielten und daher als Eingriff in die freie Unternehmerentscheidung verfassungswidrig seien.

Das BAG hält die Forderungen, auch als Forderungen eines Streiks für rechtmäßig. Eine gerichtliche Übermaßkontrolle von Streikzielen und Forderungen der IG-Metall lehnt das BAG ab. Dies gilt erst Recht für Forderungen des Betriebsrats, wenn dieser in Verhandlungen im Rahmen einer freiwilligen Einigungsstelle geht.

Das BAG macht deutlich, dass auch Streiks um die tarifliche Regelung von Kündigungsfristen um ein tariflich regelbares Ziel geführt werden. Tarifliche Bestimmungen über die Dauer von Kündigungsfristen sind Inhaltsnormen. Ihre Verlängerung über die gesetzliche Dauer hinaus ist gemäß § 622 Abs. 4 BGB zulässig. Streiks zur Herbeiführung tariflicher Fristen für betriebs(änderungs)bedingte Kündigungen von gegebenenfalls mehr als einem Jahr Dauer sind nicht wegen des Umfangs der Tarifforderung rechtswidrig.

Das BAG führt aus, dass

 „Streikforderungen einer Gewerkschaft, deren Gegenstand grundsätzlich tariflich regelbar ist, keiner gerichtlichen Übermaßkontrolle (unterliegen). Eine solche Kontrolle verstößt gegen die durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Koalitionsbetätigungsfreiheit der Gewerkschaften und stellt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie in Frage.“

Das BAG führt weiter aus:

„Die Höhe einer Streikforderung greift nicht in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen der Arbeitgeber aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG ein. … Eine Streikforderung rechnet mit dem Widerstand der Arbeitgeberseite. Sie geht aus den verschiedensten Motiven regelmäßig über dasjenige Maß hinaus, bei dessen Erreichen die Gewerkschaft zum Tarifabschluss bereit ist. Sie hat die Funktion, die jeweiligen Mitglieder zu motivieren und Tarifverhandlungen zunächst einmal in Gang zu bringen.“

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Berger (Fachanwalt für Arbeitsrecht)

In einer früheren Entscheidung im Fall vom Aufzugshersteller Otis Stadthagen hat das Landesarbeitsgerichts Niedersachsen im Ergebnis bereits die gleiche Position wie das Bundesarbeitsgericht bezogen.

Otis ist Mitglied im Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V. Verklagt war die IG-Metall, vertreten durch den Vorstand, die Verwaltungsstelle Stadthagen der IG Metall, die Bezirksleitung Hannover für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt der IG Metall. Die Klägerin ist Teil der US-amerikanischen T-Gruppe und beschäftigt in Deutschland ca. 4.000 Mitarbeiter. Die Hauptverwaltung und ein Produktionsstandort befinden sich in Berlin. Ein weiterer Produktionsstandort befindet sich in S. Hier werden mit ca. 360 Arbeitnehmern Fahrtreppen produziert.

In einem Interessenausgleich von 1999 verpflichtete sich Otis zum Erhalt des Standortes Stadthagen. Über die Wirksamkeit dieser Betriebsvereinbarung ist vor dem ArbG Hameln ein Beschlussverfahren anhängig. Die Klägerin fasste den Beschluss, ihr Werk in S. zum 31.12.2004 stillzulegen und die Produktion nach Breclav in der Tschechischen Republik und nach China zu verlagern. Hierüber wurden am 04.03.2004 der Wirtschaftsausschuss und der Betriebsrat informiert.

Mit Schreiben vom 29.03.2004 forderte die IG-Metall den Verband der Metallindustriellen Niedersachsens e.V. auf, für den Betrieb in Stadthagen einen Ergänzungstarifvertrag zu vereinbaren, und erhob hierbei folgende Forderungen:

Beschäftigte, die betriebsbedingt gekündigt werden, haben Anspruch auf Qualifizierungsmaßnahmen für bis zu 36 Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist unter Fortzahlung eines Entgelts in Höhe der bisherigen Vergütung. Die Firma trägt die Kosten der Qualifizierungsmaßnahmen. Der Firma bleibt es unbenommen, sämtliche Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit nach dem SGB III in Anspruch zu nehmen.

Zur Milderung der mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen Nachteile erhalten die aus Anlass der Betriebsänderung ausscheidenden Beschäftigten eine Abfindung in Höhe von zwei Monatseinkommen pro Beschäftigungsjahr. Außerdem wird ein Fonds für Fälle besonderer Härte eingerichtet. Die Aufstellung weiterer Forderungen behalten wir uns vor.

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Berger (Fachanwalt für Arbeitsrecht)